THEMA: Über ausgeglichene Haushalte und die Eurozone [August 2018]

 

In der Sache: Über Haushaltsüberschuss und Staatsverschuldung — Eine Antwort auf Katrin Albsteigers (MdB 2013-2017) Rechtfertigung von Schäubles „Schwarzer Null“ bzw. seines „Tilgungs-fetisch“.

Anlass für diesen Beitrag war ein Post von Katrin Albsteiger, der damaligen Listenmandatsträgerin für Neu-Ulm und Schwaben im Bundestag zwischen 2013 und 2017. Bereits im September 2017 ging ich auf ihren Post auf ihrer persönlichen Webseite ein (siehe hier mein Post auf Facebook bzw. Twitter - leider sind die Ausführungen von Frau Albsteiger auf ihrer Homepage zum gegebenen Zeitpunkt nicht mehr erreichbar). Hier möchte ich aber trotzdem die Debatte auf meiner Homepage nun festhalten, weil ich diese enorm wichtig finde.

  • Die Schwarze Null (d.h. ein ausgeglichener Staatshaushalt) basiert auf einem Trugschluss!

Aufgenommene Staatsschulden, so wird argumentiert, belaste unsere Enkelkinder (oder häufig auch wie folgt formuliert: „Wir leben über unsere Verhältnisse.“) — Auch Katrin Albsteiger ist dieser Ansicht, wenn sie meint: „Später müssen dann die Nachkommen aufkommen.“ Staatsschulden werden aber nicht von Generation zu Generation vererbt, sondern heute aufgenommene Staatsschulden werden von Arbeitnehmern von morgen an die Vermögenden von morgen bzw. in der Vergangenheit aufgenommene Schulden werden de facto von heutigen Arbeitnehmern an die Vermögenden von heute beglichen.

  • Die Forderung von ausgeglichenen Staatshaushalten hinterfragt nicht bestehende Verteilungslogiken!

Die Forderung von ausgeglichenen Staatshaushalten hinterfragt nicht bestehende Verteilungslogiken, da Ausgabenkürzungen das Fundament des Sozialstaates tangieren und somit den Gestaltungsspielraum demokratischer Entscheidungsfindungsprozesse in ein künstliches Korsett einengen. Katrin Albsteiger findet, dass „[...] auch zu einer Zeit, wenn längst die Kinder das Ruder längst übernommen haben: Schulden bleiben und Zinsen schränken Spielräume ein.“ (Dieses Argument ist in den Sozialwissenschaften auch bekannt als die „progressive Konsolidierungsthese“). So scheint doch paradoxerweise gerade der Verzicht auf staatliche Gestaltungsambitionen als die Vorraussetzung von dauerhaft ausgeglichenen Haushalten zu sein - also genau das Gegenteil, was eigentlich erreicht werden soll: die Stärkung der staatlichen Handlungsfähigkeit.

  • Ein Staatshaushalt ist deswegen nicht einem Privathaushalt oder gar einer Unternehmensbilanz gleichzusetzen!

Ein Staatshaushalt ist deswegen nicht einem Privathaushalt oder gar einer Unternehmensbilanz gleichzusetzen, DENN: Staatsschulden sind eine Art vorfinanziertes Wachstum! Das Staatsbudget stellt lediglich die erwarteten Einnahmen des Staates mit dessen geplanten Ausgaben gegenüber und ist deswegen keine Bilanz im kaufmännischen Sinn. Private Schulden machen den einzelnen Haushalt ärmer (durch Zinszahlungen). Öffentliche Schulden verbessern potentiell die Standortbedingungen der Wirtschaft und vergrößern somit den „Kuchen“ und letzten Endes auch die Steuereinnahmen. Durch kreditfinanzierte Mehrausgaben entstehen Vermögenswerte (Straßen, Schulen, etc.), die auch künftige Generationen nutzen! Der Standort Deutschland wird attraktiver! So ist das Verhältnis von Deutschlands Staatsschulden zum erwirtschafteten privaten Nettovermögen 1 zu 4,5 (Stand 2009), also durchaus überschaubar. Konkret stehen also rund 2.000 Mrd. € öffentliche Schulden viereinhalb mal soviel, also rund 9.000 Mrd. €, Vermögen gegenüber. Es ist also notwendig, wenn man über Staatsschulden redet, auch das erwirtschaftete Vermögen nicht unerwähnt zu lassen, das ja u.a. mit Hilfe der kreditfinanzierten Mehrausgaben des Staates sich gesteigert hat.

  • Investitionen anstatt bloße Schuldentilgung!

Katrin Albsteiger unterstützt Wolfgang Schäubles Vorschlag mit den 6 Mrd. Euro Haushaltsüberschuss die öffentlichen Schulden zu tilgen. Es wäre aber besser die 6 Mrd. € Überschuss zu investieren. In Deutschland herrscht eine Investitionslücke von 75 Mrd. jährlich und kosten mind. 0,6% Wirtschaftswachstum (siehe: Pressemitteilung des DiW vom 24.06.2013)! D.h. die Bundesrepublik lebt derzeit von ihrer Substanz: Investitionen gingen von 4,7% des BIP (1970) auf nur noch 1,6% zurück (2013) und das bei Niedrigzinsen auf 10-jährige Staatsanleihen zwischen -0,2 und +0,46%! Lasten werden in die Zukunft verschoben und gefährden dadurch den Wohlstand künftiger Generationen. Die Doktrin des ausgeglichenen Haushalts widerspricht somit also ihrer ursprünglichen Motivation der Generationengerechtigkeit! Investitionen auf Pump sind bei Produktivitätssteigerungen der Wirtschaft also durchaus gerechtfertigt — Produktivitätssteigerung schließt u.a. ein mehr in (Aus-)Bildung zu investieren, um so dringend benötigte Facharbeiter heranzuziehen. Der Nationalökonom Lorenz von Stein sagte bereits 1871 einmal: „Ein Staat ohne Staatsschuld thut entweder zu wenig für seine Zukunft oder er fordert zu viel von seiner Gegenwart.“ Selbst die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) mahnt den Wettbewerbsfähigkeitsverlust Deutschlands an durch die gegenwärtige „Vernachlässigung wirtschaftsnaher Infrastruktur“ (siehe: Artikel in der Zeit vom 6. Juli 2016).

 


 

In der Sache: Über die Entwicklung der Staatsverschuldung in der Eurozone — Eine Antwort auf Hubert Aiwangers Post auf Facebook am 17. August 2012.

Deutschland ist einer der wenigen Profiteure, wenn nicht gar der einzig große Profiteur, der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (siehe beispielsweise: Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 21. Juni 2018). Dass in Deutschland unsere gesamtgesellschaftliche Infrastruktur verkommt, also mal von sanierungsbedürftigen Straßen und Bildungseinrichtungen abgesehen und die Bewältigung von immens wichtigen Zukunftsaufgaben der unmittelbaren Daseinsfürsorge (Rente, Pflege, KiTas) mit eingeschlossen, dann ist v.a. die schon fast an Besessenheit grenzende Fixierung auf die „schwarze Null“ dafür verantwortlich! Unser Sozialsystem sowie der ganze Süden Europas leidet an Unterfinanzierung als auch an noch nie dagewesener Arbeitslosigkeit bzw. extrem hoher Jugendarbeitslosigkeit, u.a. weil unser deutscher Staat, bzw. das sehr verehrte Finanzministerium sich davor sträubt, mehr in die öffentliche Infrastruktur zu investieren — und das bei derzeit ultra-niedrigen Zinsen für den deutschen Fiskus!

Wenn man sich noch erinnern kann, weiß man, dass erst seit der letzten Finanzkrise die Staatsverschuldung wieder enorm angestiegen ist, um heimische Banken und insgesamt das internationale Finanzwesen zu retten. Vor der Finanzkrise 2008 ging die europäische Staatsverschuldung im Schnitt zurück!

Insgesamt mussten die Regierungen gemeinsam mit dem IWF rund 480 Mrd. Euro in den acht Jahren zwischen 2010 und 2018 für die Rettung der gemeinsamen Währung aufwenden — gemessen an der europäischen Wirtschaftsleistung ist das prozentual gleichzusetzen mit den alljährlichen innerdeutschen Länderfinanzausgleichen. Weil der EU eine wirkungsvolle, soziale, solidarische Komponente fehlt, wird die Währungsunion nie ganz sicher vor solchen Finanzschocks sein. Es sei auch noch zum Schluss bemerkt, dass eine gemeinschaftliche europäische Währung, der Euro bzw. die Aufgabe der D-Mark eine Bedingung unserer europäischen, und v.a. unserer französischen Nachbaren, bzw. der Preis für die deutsche Wiedervereinigung gewesen ist. Altkanzler Helmut Kohl wusste das genau — hat das anscheinend viel zu wenig kommuniziert.

Viele Projekte der unmittelbaren Daseinsvorsorge scheitern an der fast schon an Bessenheit-grenzenden Fixierung an der Schwarzen Null. Da ist es höchste Zeit mal ordentlich umzudenken!

 

Diese Thematik habe ich auch in einem Facebook-Beitrag verarbeitet. Falls Sie Ihre Meinung dazu Kund tun möchten, können Sie dort gerne darunter einen Kommentar verfassen.